01
/
01
/
CHRISTIAN SCHLENDER

Basistarif nach § 152 VAG

Der „Basistarif“ ist ein spezieller branchenweit einheitlicher Tarif in der privaten Krankenversicherung (PKV) mit einer bestimmten „Grundabsicherung“, der mit der Gesundheitsreform 2007 eingeführt wurde. § 152 VAG sieht vor, dass er verpflichtend von allen Versicherungsunternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland angeboten werden muss, die die substitutive Krankenversicherung betreiben. 2023 waren 34.800 Personen im Basistarif versichert, diese Zahl nimmt seit 2013 bis auf eine einjährige Ausnahme kontinuierlich zu. Die genaue Ausgestaltung des Versicherungsschutzes wird vom Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband) festgelegt, wobei die Fachaufsicht das Bundesministerium der Finanzen ausübt.

Logo Verband der Privaten Krankenversicherung e.V.

Die Vertragsleistungen des Basistarifs sollen in Art, Umfang und Höhe jeweils den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (nach dem Dritten Kapitel des SGB V, auf die ein Anspruch besteht) vergleichbar sein (§ 152 Abs. 1 Satz 1 VAG). Typischerweise leisten „Normaltarife“ der PKV mehr als die GKV. Es gibt beim Basistarif keine Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse, trotzdem wird aus „Kalkulationsgründen“ zu Beginn eine Gesundheits-/Risikoprüfung vorgenommen, soweit sie für Zwecke des Risikoausgleichs nach § 154 VAG oder für spätere Tarifwechsel erforderlich ist.

Besonderheit neben dem Kontrahierungszwang des Basistarifs ist, dass der Beitrag für den Basistarif auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt ist (Multiplikation des allgemeinen Beitragssatzes zuzüglich des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a Abs. 2 SGB V mit der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung), während Normaltarife der PKV keine Kostenbegrenzung nach oben haben. Darüber hinaus gilt, dass bei bestehender Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder SGB XII oder wenn allein durch die Zahlung des Beitrags Hilfebedürftigkeit entstehen würde, sich der Beitrag im Basistarif für die Dauer der Hilfebedürftigkeit oder für die Zeit, in der Hilfebedürftigkeit entstehen würde, um die Hälfte reduziert; die Hilfebedürftigkeit ist vom zuständigen Träger auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu bescheinigen. Im Jahr 2023 waren etwa 60 % der Versicherten im Basistarif mit Beitragshalbierung wegen Hilfebedürftigkeit (Quelle: PKV-Zahlenportal). Den Basistarif gibt es mit den folgenden Selbstbehaltsstufen: 0, 300, 600, 900 oder 1.200 Euro. Der Versicherte kann zwischen den Stufen wechseln.

Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif haben unter anderem alle Personen, grundsätzlich unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, mit Wohnsitz in Deutschland, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind, nicht zum Personenkreis nach § 152 Abs. 2 Nr. 1 VAG oder § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 und 4 VVG gehören und die nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung mit einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben, die der Pflicht nach § 193 Abs. 3 VVG genügt.

Gesetzliche Ausnahmen vom Kontrahierungszwang bestehen, wenn der Antragsteller bereits bei dem betreffenden Versicherungsunternehmen versichert war und das Versicherungsunternehmen den Versicherungsvertrag wegen Drohung oder arglistiger Täuschung angefochten hatte oder vom Versicherungsvertrag wegen einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgetreten war (§ 152 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und Nr. 2 VAG).

Wer aufgrund von Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder XII nach dem 15. März 2020 in den Basistarif gewechselt ist oder wechselt, hat ein zeitlich befristetes Rückkehrrecht ohne Risiko-/Gesundheitsprüfung in den alten Tarif, wenn die Hilfebedürftigkeit innerhalb von zwei Jahren nach dem Wechsel endete (§ 204 Abs. 2 VVG).

Keine Aufnahmeverpflichtung für dem Grunde nach der GKV zuzuordnende Personen

Es besteht nach der Einreise und Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland jedoch kein automatischer Anspruch gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen nach § 152 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VAG im Basistarif versichert zu werden. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.04.2013 (BVerwG 10 C 10/12) dahingend, dass für private Krankenversicherungsunternehmen im Basistarif ein Kontrahierungszwang bestehe und deshalb derartige Versicherer nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG versicherungsvertragsrechtlich verpflichtet seien, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland eine Versicherung im Basistarif zu gewähren, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch freiwillig versichert sind, Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben oder Empfänger laufender Leistungen der in § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 VVG genannten Art sind und nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung mit einem zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben, gilt als überholt.

Sowohl der Bundesgerichtshof als auch Land- und Oberlandesgerichte legen den Anspruch auf Versicherung im Basistarif der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG teleologisch einschränkend so aus, dass eine derartige Versicherung nur dann in Betracht kommt, wenn die zu versichernde Person grundsätzlich auch dem Bereich der privaten Krankenversicherung zuzuordnen ist und nicht dem Grunde nach der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unterfällt (BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 55/14; VG Berlin, Urteil vom 23.01.2024 – 21 K 526/22 V; LG München, Urteil vom 06.04.2021 – 10 O 1137/20 Ver, bestätigt durch OLG München, Beschluss vom 01.08.2022 – 25 U 1865/21; OLG Köln, Beschluss vom 30.09.2014 – 20 U 107/14; LG Düsseldorf, Urteil vom 19.02.2020 – 9 O 190/19; LG Köln, Urteil vom 06.04.2016 – 23 O 188/15; LG Dortmund, Urteil vom 19.11.2015 – 2 S 6/15).

Diese einschränkende Auslegung stützt sich auf die Systematik, die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck der maßgeblichen Normen. Denn nach dem gesetzgeberischen Willen sollen die Personen, denen ein Krankenversicherungsschutz fehlt, in dem System versichert werden, dem sie grundsätzlich zuzuordnen sind (vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 87, 16/4247, S. 67). Für Personen, die zwar dem Grunde nach dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem zuzuordnen sind, für die aber der Ausschluss nach § 5 Abs. 11 SGB V greift (Ausländer), gilt im Ergebnis allein die aufenthaltsrechtliche Verpflichtung, die Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sicherzustellen. Von einer insoweit bestehenden „dritten Säule“ des Krankenversicherungssystems gehen nicht nur die Zivilgerichte, sondern wohl auch das Bundesverfassungsgericht aus (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.06.2009 – 1 BvR 706/08 u.a.).

Kritikpunkte am Basistarif

Nachdenklicher älterer Mann (Rentner) mit Schnurrbart sitzt am Tisch und spricht mit einem Arzt

Depositphotos.com

Aufgrund seiner „Konstruktion“ und den vielen schlechten / hohen Risiken an Versicherten ist der Basistarif für die gebotenen Leistungen auf Niveau der GKV extrem teuer. Sehr viele Basistarifversicherte zahlen (nahezu) den gesetzlichen Höchstbeitrag.

Weil es im Basistarif Beitragslimitierungen gibt und es privaten Versicherern nicht erlaubt ist, im Basistarif Risikozuschläge zu erheben oder Leistungsausschlüsse zu vereinbaren, reichen die Beiträge kalkulatorisch nicht aus, um die Krankheitskostenrisiken zu decken. Im Basistarif entstehen Defizite, die auch von den Bestandsversicherten anderer PKV-Tarife durch Zuschläge (bei substitutiven Krankenversicherungen der Zuschlag zur Umlage der Begrenzung der Beitragshöhe im Basistarif gemäß § 154 VAG und für den Basistarif selbst der Zuschlag zur Umlage der Mehraufwendungen durch Vorerkrankungen) mitzutragen sind (Quersubventionierung). Diese Regelungen führen zu Belastungen der PKV und ihrer Versicherungsnehmer.

Bei einer Versicherung im Basistarif kann das Versicherungsunternehmen verlangen, dass Zusatzversicherungen ruhen, wenn und solange ein Versicherter auf die Halbierung des Beitrags nach § 152 Abs. 4 VAG angewiesen ist (§ 193 Abs. 11 VVG).

Der Gesetzgeber hat es unterlassen, Vertragsärzte gesetzlich dazu zu verpflichten, abgesehen von Notfällen, Basistarifversicherte zu den Konditionen des Tarifs behandeln zu müssen. Daher gestaltet es sich für Basistarifversicherte extrem schwierig, Ärzte bzw. Leistungserbringer zu finden, die sie behandeln bzw. zu den (Erstattungs-)Konditionen des Tarifs abrechnen (max. Steigerungsfaktoren: medizinisch-technische Leistungen: 1,0 / Laborleistungen: 0,9 / persönliche ärztliche Behandlung: 1,2 / zahnärztliche Leistungen: 2,0), da die vorgesehene Leistungsvergütung teilweise deutlich unter dem liegt, was die Leistungserbringer für gesetzlich Krankenversicherte nach bspw. EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab; Abrechnungsgrundlage für Leistungen, die innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden) / BEMA (Einheitlicher Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen) erhalten. Im Ergebnis zahlen Basistarifversicherte oftmals aus eigener Tasche privat drauf, weil die Leistungserbringer zu den ganz normalen Schwellenwerten abrechnen, und fühlen sich (zurecht) als Patienten dritter Klasse (nach Selbstzahlern / Privatversicherten in Normaltarifen und gesetzlich Krankenversicherten).

Im Internet findet man schnell viele negative Erfahrungs- und Problemberichte von Betroffenen. Von Armentarif oder Holzklasse der privaten Krankenversicherung ist da unter anderem die Rede. Der Wechsel in den Basistarif soll offensichtlich möglichst unattraktiv gemacht werden und maximal eine (vorübergehende) Notlösung darstellen. Im Endeffekt ist er eine Art „Abladestation für schlechte bzw. unbeliebte Risiken“ in der PKV (Personen, die der PKV zuzuordnen sind, aber aufgrund von Vorerkrankungen keinen Normaltarif abschließen können oder bisher nicht versichert waren; Hilfebedürftige wie Bezieher von Sozialhilfe oder Grundsicherung; Alte / Rentner, die die hohen Beiträge des bisherigen Tarifs nicht mehr zahlen können; gekündigte Personen usw.). Zur Stigmatisierung trägt weiterhin bei, dass sich Basistarifversicherte bei jedem Gang zum Arzt mit ihrem Behandlungsausweis zu erkennen geben müssen.